Elternschaft und Kinder

Viele gesehene Beziehungsschwierigkeiten von jungen gesunden Eltern haben einen Kern in den im folgenden Tagi-Magi-Artikel von Caroline Thompson beschriebenen Beziehungs-Aspekten, weshalb ich ihn hier zur Verfügung stellen will. Da der Original-Artikel nicht dauernd online einsehbar ist, kopiere ich den Inhalt auch hierhin.

Originalartikel-Tagesanzeiger-Magazin 2009-03: Caroline Thompson, Teil 3

Die Liebesbeziehung zu den eigenen Kindern schwächt das Band zwischen den Eltern, sagt die erfahrene Familientherapeutin.

16.01.2009 von Finn Canonica

Sind wir alle schwache Eltern, oder warum haben sich Kinder diesen dominierenden Platz innerhalb der Familie erobern können?

Darüber kann ich nur spekulieren. Möglich, dass die gewiss viel lockerere Art der Beziehungen zwischen Erwachsenen eine Rolle spielt. Dafür hat das Verhältnis zum eigenen Kind einen viel grösseren Stellenwert. Achten Sie mal drauf: Freunde und Bekannte reden offen über die Gründe, weshalb ihre grosse Liebe in der Krise ist oder gar gescheitert. Aber niemals würde Ihnen jemand erzählen, er habe keine gute Beziehung zu seinem eigenen Kind. Wenn es darum geht, die Liebe eines Kindes zu erobern, gibt es für Eltern heute leider keine Grenzen mehr.

Aber das ist doch natürlich, diese kleine Freude, wenn einem ein Kind sagt, Papa oder Mama, ich liebe dich.

Gewiss, und es ist hoffentlich ja auch so. Aber gerade kleinere Kinder durchlaufen Phasen, wo sie eben auch ausprobieren, was passiert, wenn sie den Eltern mal die Liebe künden. Das muss man ertragen können. Eltern sollten ihre Kinder nie fragen, ob sie von ihnen noch geliebt werden. Solche Fragen mögen von strategischer Bedeutung sein in Beziehungen zwischen Erwachsenen, bei Kindern sind sie fehl am Platz. Ausserdem schwächen diese Quasi-Liebesbeziehungen zu Kindern das Band zwischen den Erwachsenen.

Wie meinen Sie das?

Ich erlebe immer wieder Paare, die sich auseinanderleben, weil insbesondere die Mütter eine zu affektive Beziehung zu ihren Kindern haben. Alle Liebesenergie fliesst gewissermassen ins Kind, für eine normale Beziehung zum Partner bleibt dann oft nicht mehr viel übrig.

Kinder brauchen doch bedingungslose Liebe. Der Ehepartner jedoch trägt vermutlich kaum einen psychischen Schaden davon, wenn er weniger geliebt wird.

Ja, Kinder brauchen viel Liebe. Aber wir sollten sie nicht zu Objekten für unseren Narzissmus machen. Die zärtlichsten Eltern sind oft die grössten Narzissten. Das Kind verleiht seinen Eltern Wert, rechtfertigt ihre Existenz. Mit dem vor aller Augen geliebten Kind zeigt man, dass man ein guter Vater oder eine gute Mutter ist. In Cafés oder in der Metro fällt mir oft auf, dass Eltern ihre Kinder immer genau dann an sich drücken und mit Küssen übersäen, wenn sie merken, dass ich sie beobachte. Als ob sie mir, einer völlig Unbekannten, zeigen wollten: Schau mal, was für eine tolle Mami ich bin.

Also kein öffentliches Schmusen mehr mit den Kindern?

Küssen Sie in der Öffentlichkeit wieder mal Ihre Frau. Und zwar vor Ihren Kindern. Das wird allen gut tun.

Ist das nicht in unserer Natur, dieses Bedürfnis, seinem Kind ebenso viel Liebe wie möglich zu geben?

Das glaube ich nicht. Dass wir von unseren Kindern jederzeit und um jeden Preis geliebt werden wollen, ist eine relativ junge Idee. Einem Menschen im 19. Jahrhundert wäre der Gedanke absurd erschienen. Mit Tyrannei der Liebe meine ich die daraus folgende Abhängigkeit von unseren Kindern. Ich bedaure Eltern, die den Gedanken nicht ertragen können, auch nur für kurz die Liebe ihres Kindes zu verlieren. Sie sind abhängig von dem Kind, obwohl in Wahrheit doch jedes Kind in einen Zustand der absoluten Abhängigkeit auf die Welt kommt, und erst mit der Zeit, im Laufe seiner Entwicklung hoffentlich unabhängig wird, spätestens im Erwachsenenalter. Heute sind nicht nur die Kinder von den Eltern, sondern auch noch die Eltern von den Kindern abhängig.

Leuchtet alles ein. In der Realität jedoch ist es schwierig, wir wollen doch einfach alle nur gute Eltern sein, und dabei macht man eben vieles falsch.

Sicher, die Erfahrung macht jeder. Es geht mir ja auch weniger um Erziehungsmethoden, sondern um Grundsätzlicheres. Ich wünsche mir mehr Eltern, die verstehen, in welcher Position sie sich befinden. Die verstehen, dass Erziehung eben nicht nur ein Geben von Liebe bedeutet. Erziehung heisst für mich, einem Kind die Welt erfahrbar zu machen, ihm das Wissen und die Kenntnisse zu geben, die es braucht, um später einen Platz zu finden in der Welt. Und wie Sie wissen, in der Regel interessiert sich die Welt kein bisschen dafür, ob einem nun etwas passt oder nicht.

''Caroline Thompson ist New Yorkerin. Sie arbeitet als Psychoanalytikerin in der psychiatrischen Abteilung für Kinder und Jugendliche am Hôpital de la Pitié-Salpêtrière in Paris. Ihr Buch «Die Tyrannei der Liebe» ist im Verlag Antje Kunstmann erschienen.

Im nächsten Heft spricht Frau Thompson über Eltern-Sex, Menopause und andere Unannehmlichkeiten.''

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