Kooperation

Die Kooperationsfähigkeit ist das Hauptmerkmal der menschlichen Art. Daraus hat sich die Kommunikation-Fähigkeit und die Sprache entwickelt. Dies fühlen wir Menschen auch als Wunsch nach Sinn und Zugehörigkeit, nach einer Funktion. Wer sich für nichts und niemanden wirklich engagiert, fühlt sich leer und bekommt keine Anerkennung - ein Thema bei Persönlichkeitsstörungen. Ausschluss schmerzt (heutiges Thema 'Ex- versus In-klusion').
Kooperation ist existentiell; niemand könnte Nahrung, Kleider, Dach über dem Kopf im Alleingang herstellen.

Eindrücklich hat das Michael Tomasello untersucht und in seinen Büchern genau belegt. Gut lesbar ist 'Warum wir kooperieren; die meisten anderen nur schwer.
siehe Kommentar unten

Psychose als übersteigerte Deutung-Funktion

Wir haben darum auch eine Empfänglichkeit für mitmenschliche Gesten, Symbole, ja Bedeutung grundsätzlich, elterliche Aufträge (bis königliche, göttliche). Wir hören diese gelegentlich aus unserem akustischen Gedächtnis.
Diese Bereitschaft kann sogar so extrem gross sein, dass es zu einer Störung bis Krankheit wird (Verschwörungsideen bis Psychose). Man kann Psychose also auch verstehen als eine übersteigerte Bedeutungs-Verständnis-Funktion.
Dies erforschte Julian Jaynes vor 50 Jahren

Diese Fähigkeit Symbolen gegenüber wach zu sein hat auch eine neurobiologische Grundlage; wichtig dabei ist der Transmitter Dopamin. Darum werden in der Psychiatrie bei Psychose Dopamin-Antagonisten oder Neuroleptika eingesetzt. Häufig lieben das die Patienten nicht so sehr, weil damit Bedeutsamkeit weniger stark erlebt wird. Aber es macht Patienten wieder fähiger, die Welt physisch realistischer zu sehen und nicht überall Bedeutungen zu erleben, wo sie nicht so von jemandem gemeint waren.

siehe auch IchBewusstsein

Sennett: Together

von Daniel Binswanger, TagesAnzeiger-Magazin 2012-05 (Original leider nicht mehr im Netz)

Was den Menschen auszeichnet, ist seine Fähigkeit zur Kooperation. Die Gabe zur Zusammenarbeit bildet eine der wichtigsten Eigenschaften des Erdenbürgers. Kooperation ist ein Schlüsselelement jeder Sozialphilosophie, sowohl ihrer linken als auch ihrer rechten Varianten. Sozialistische Utopien gründen auf der Hoffnung, dass sich durch die richtige gesellschaftliche Organisation die solidarische Zusammenarbeit aller Produktivkräfte herbeiführen lasse. Der liberale Glaube an die Segnungen der spontanen Marktordnung beruht auf der Überzeugung, dass die von Gewinnstreben geleitete Zusammenarbeit zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führt. Marx glaubte an die Organisation der Massen, Adam Smith an individuelle Empathie. Beide gingen davon aus, dass die gute Gesellschaftsordnung auf kooperativem Verhalten beruhe.

Was genau ist Kooperation? Wie funktioniert sie, wo hat sie ihre kulturellen Wurzeln, wie hat sie sich im Lauf der Geschichte gewandelt? Diesen Fragen geht Richard Sennett, der Grand Old Man der Arbeitssoziologie, in seinem neusten Buch nach. Es trägt den simplen Titel «Together».

Sennetts Forschungsfokus hat sich immer mehr verschoben von der Kritik aktueller Produktionsformen, die zu immer grösserer Flexibilisierung der Anstellungsverhältnisse führen, zu einer akribischen Erkundung jener Dimensionen der Arbeitswelt, die sinnvolle Rollenangebote machen und sozialethische Bindungen erzeugen. Unter welchen Bedingungen ist man stolz und zufrieden über das, was man tut? Eine erste Antwort hat Sennett mit seinem Buch «Handwerk» geliefert. Einen weiteren Aspekt entwickelt er nun in «Together». Man ist stolz auf sein Handwerk, wenn man etwas schafft, was nicht jeder kann, wenn man seinen Job gut macht. Dazu gehört auch, dass man mit anderen gut zusammenarbeitet — was ebenfalls gelernt sein will.

Was Sennett unter Kooperation versteht, entwickelt er an zwei persönlichen Erfahrungen: der Kammermusik und der Projektarbeit mit Google Wave. Letzteres ist eine Software, die Gruppenarbeit hätte erleichtern sollen. Alle Teilnehmer konnten gleichzeitig an einem gemeinsamen Text arbeiten und über individuell zugeordnete Fenster Kommentare, Ideen und sonstiges beitragen. Das Arbeiten mit Wave funktionierte aber nicht. Google hat die Software-Plattform … wieder geschlossen. Nach Sennett lag das Problem darin, dass zwar jeder Mitarbeiter sich einbringen konnte, dass es aber zu mühsam war, gegenseitig aufeinander zu reagieren.

Kooperation entsteht nicht dann, wenn jeder seinen Input gibt. Kooperation entsteht, wenn sich aus den Beiträgen ein Dialog entwickelt. Das Paradigma eines solchen Dialogs ist für Sennett die Kammermusikprobe. Jeder Musiker kommt mit einer bereits eingeübten Interpretation des Stücks. Dann beginnt ein Harmonisierungsprozess: Jeder muss verstehen, was der andere mit seinem Spiel intendiert und wie seine eigene Interpretation für den anderen klingt. Ein Zusammenspiel ist nur möglich, wenn alle musikalischen Schattierungen «dialogisch» ausgemittelt werden.

Ein Leitfaden von Sennett ist der Gegensatz von Kooperation und Politik. In der Politik geht es darum, seine Positionen durchzusetzen. Natürlich müssen Kompromisse ausgehandelt und Interessen-Koalitionen geschmiedet werden. Die Umsetzung von Machtstrategien erfordert aber immer ein gewisses Mass an hierarchischer Disziplin. Im Gegensatz dazu kann die Anstiftung des einfachen Bürgers zu kooperativem Verhalten nur im Bottom-up-Verfahren gelingen. Daraus entsteht eine gewisse Spannung zwischen sozialer Bewegung und politischer Vertretung der unteren sozialen Schichten, etwa zwischen Community Worker und Gewerkschaftsfunktionär. Es ist nicht dasselbe, eine Wählerbasis zu mobilisieren und zur Zusammenarbeit anzuregen, wie diese Basis möglichst effizient zu vertreten. Dem Problem müssen sich nicht nur linke Politiker stellen.

Sennetts grosses historisches Tableau mündet trotzdem in der Feststellung, dass Politik sich wieder mehr für konkrete Formen der Kooperation interessieren sollte. Der materielle Abstand zwischen den Eliten und dem normalen Bürger nimmt zu. Die Flexibilisierung der Lebensverhältnisse trägt bei zur Entsolidarisierung. Das Ethos der Zusammenarbeit wäre ein Gegengift.

Richard Sennett: Together, Penguin Books. (deutsche Übersetzung)

Kommentar

Auch Michael Tomasello kommt in seinem anthropologischen Lebenswerk zum Schluss, dass die ganze Entwicklung des Menschen mit seiner Denkfähigkeit und seiner biologischen Durchsetzungskraft eine Folge ist der Kooperation.
Erst indem sich Menschen vorstellen, wie ein Objekt für einen Mitmenschen erlebbar ist, entwickelt er eine Idee von der Sache an sich. Mit diesen Gedankenobjekten beginnt das Denken und ist auch Voraussetzung für unsere differenzierte Sprache.
Für eine Kooperation muss man eine gemeinsame Vorstellung und eine gemeinsame Absicht oder Intention entwickeln; - ein wichtiger Begriff bei Tomasello.
Die Kooperation in diesem Mass finden sich bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen oder Bonobos, noch nicht. Diese bleiben schliesslich immer Konkurrenten; die Mütter nehmen sogar ihren Kindern die besten Häppchen weg.
Tomasello untersuchte genau, in welchem Alter Kinder wie zu kooperieren beginnen und verglich sie mit erfahrenen Schimpansen.
Der US-amerikanische Verhaltens-Forscher arbeitete rund von 1998-2018 am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leibzig.

Schönbucher