Gefühle sind eine Funktion eines Hirns

«Pflanzen brauchen keine Würde»

Je weniger man über Pflanzen wisse, desto mehr würden menschliche Attribute verwendet, sagt der Biologe Bruno Müller.Bruno Müller

Der Biologe studiert am Institut für Pflanzenbiologie an der Universität Zürich das Hormon- und Signalsystem von Pflanzen.


Sie fragten kürzlich in einem ­Vortrag provokativ, ob Pflanzen Gefühle hätten. Darf ich nun nicht mehr ohne schlechtes Gewissen den Rasen mähen? Das will ich Ihnen nicht verbieten. Es ging vielmehr darum, warum manche Menschen den Pflanzen menschliche Attribute zuordnen – zum Beispiel Gefühle. Pflanzen sind ähnlich komplex wie Tiere, inklusive des Menschen. Aber weil sie still sind und nie wegrennen, sind sie uns in ihrer Art eigentlich fremd. Was fremd ist, das betrachten wir erst aus einer menschlichen Sichtweise.

Was antworten Sie Menschen, die einen esoterischen Zugang zu ­Pflanzen haben, in ihnen sogar ein höheres Bewusstsein vermuten? Ich argumentiere da strikt. Gefühle oder Schmerzen sind an ein Nervensystem und Gehirn gekoppelt. Deshalb brauchen wir ein Tierschutzgesetz für Wirbeltiere, weil sie ein ähnliches Nervensystem wie der Mensch haben. Ob Pflanzen ein höheres Bewusstsein haben, finde ich keine interessante Frage. Pflanzen faszinieren mich unabhängig davon.

Vor Jahren spottete das satirische US-Wissenschaftsmagazin ­«Improbable Research» über die Eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie im ­Aussenhumanbereich. Diese verlieh Pflanzen eine Würde. Das geht für mich zu weit. Auch wenn Pflanzen etwa ein Sozialverhalten haben oder über chemische und visuelle Signale mit Insekten kommunizieren: Sie brauchen keine vom Menschen zugeschriebene Würde. Entscheidend ist, dass wir unsere Verantwortung gegenüber der Welt wahrnehmen. Also Pflanzen als Teil der Ökosysteme sehen und uns bewusst sind, dass wir etwas unwiderruflich zerstören, wenn wir nicht sorgsam mit der Welt umgehen.

Trotzdem gibt es Forscher, die nach menschlichen Eigenschaften suchen. Der Italiener Stefano Mancuso hat experimentell aufgezeigt, dass auch Pflanzen lernen können. Pflanzen sind Meister darin, auf Veränderungen in der Umgebung zu reagieren, was man an vielen Beispielen erklären kann. Sie reagieren auch auf Verletzungen. Das lässt sich anhand elektrischer ­Signale messen. Aber keiner der Forscher sagt, Pflanzen hätten Nervenzellen. Solche Experimente, wenn sie gut durchgeführt sind, finde ich spannend, um die Pflanzen besser zu verstehen.

Und damit Pflanzen nicht esoterisch zu verklären? Es ist sicher ein Fehler, menschliche Eigenschaften wie Gefühle und Schmerz auf die Pflanzen zu projizieren. Je weniger man weiss, desto eher tauchen solche Ideen auf. Im Film «The Secret Life of Plants» von 1979 haben unseriös durchgeführte Experimente zu Vorstellungen geführt, dass wir mit Pflanzen auf eine menschliche Art kommunizieren können. Bis in die Neuzeit galten Pflanzen zwar als lebendig, aber ohne Empfindsamkeit und Bewegung. Je mehr wir über Pflanzen wissen, desto grösser unser Staunen über ihre Komplexität und unsere Achtung vor dem Ökosystem. Und desto weniger suchen wir nach menschlichen Attributen.

(Tages-Anzeiger) (Erstellt: 03.05.2014, 07:26 Uhr)