Seminar am Kongress des Kollegiums für HausarztMedizin KHM in Luzern 2. Juni 2006,

Schneesport und Rückenschmerzen

Dr. med. Hans Spring, Aerztlicher Direktor Rehazentrum und Swiss Olympic Medical Center Leukerbad, 3954 Leukerbad

Einleitung

Schneesportler sind anfällig für Rückenprobleme. Verantwortlich sind die hohen Belastungen auf die Bewegungseinheit Wirbelsäule/Beckenring. Oft ist die muskuläre Stabilisierung des Rumpfes ungenügend. Hier setzt die die gezielte Therapie und die Prävention ein. Bereits im Nachwuchssport müssen die Grundlagen für ein effizientes Rückentraining erarbeitet werden.

Rückentraining ist in erster Linie die Rehabilitation der lokalen und globalen Rumpfmuskulatur. Ihre Leistungsfähigkeit und Steuerung muss wiederhergestellt werden. Dieser Prozess verlangt vom Patienten viel Zeit und Motivation. Der Therapeut muss die trainingswissenschaftlichen Erkenntnisse anwenden und dabei die aktuelle Pathologie und Belastbarkeit berücksichtigen.

Ziel ist die rasche und gefahrlose Wiederaufnahme der alltäglichen, beruflichen und sportlichen Aktivitäten. Dafür muss die volle Funktion der Muskulatur und die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit des Patienten wiedererlangt werden. Ein umfassendes Konzept der muskulären Rehabilitation berücksichtigt, dass jederzeit Schmerzen und Reizzustände als Störfaktoren auftreten können, die den Wiederherstellungsprozess bremsen und ebenfalls gezielt behandelt werden müssen.

Der Patient erwartet von seinem Behandlungsteam klare Anweisungen für das Eigentraining, und wie er sich mit seinen Rückenschmerzen im täglichen Leben verhalten muss.

Dekonditioning-Syndrom

Die Schonung des schmerzhaften Rückens vermindert die muskuläre Stabilisierung der Wirbelsäule und gleichzeitig die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit. Diese gliedert sich in Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, Koordination und Schnelligkeit.

Der Verlust der Leistungsfähigkeit wird als Konditionsmangelsyndrom oder Dekonditioning-Syndrom bezeichnet. Dabei sind entweder einzelne oder alle Konditionsfaktoren betroffen. Diese herabgesetzte muskuläre Leistungsfähigkeit führt bereits bei geringen Belastungen zu einer Überbelastungssymptomatik. Führen diese Überlastungssymptome zu Schmerz und weiterer Schonung, so verschlimmert sich das Dekonditioning-Syndrom, und die Toleranzgrenze für Belastungen nimmt noch weiter ab. Letztlich mündet dies in einem Teufelskreis, der den Rehabilitationsprozess und die Reintegration in den Alltag entscheidend stört. Um dies zu vermeiden, müssen von Anfang an gezielt die Rumpfmuskulatur und der ganze Körper trainiert werden. Die geeignete Therapie ist das Rekonditioning, die Trainingstherapie zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

Training von Kraft und Koordination

Ziel von Therapie und Training in der Rückenrehabilitation ist es, funktionelle und morphologische Anpassungen zu erzielen. Hierfür muss ein spezifischer Belastungsreiz, bzw. eine bestimmte Intensitätsschwelle überschritten werden.
Dieser Schwellenwert ist individuell verschieden und steigt mit dem Trainingszustand.
Die pädagogische Führung besitzt im Training einen hohen Stellenwert, insbesondere im Umgang mit Patienten oder untrainierten Personen. Training ist ein planmässig gesteuerter Prozess, bei dem mit inhaltlichen, methodischen und organisatorischen Massnahmen die komplexe sportmotorische Leistung, die Handlungsfähigkeit und das Verhalten weiter entwickelt werden.

Kraft

In der Rehabilitation beinhaltet Krafttraining immer auch koordinatives Training. Das rehabilitative Muskeltraining baut auf den Erkenntnissen der Trainingswissenschaften auf und erfolgt in vier Schritten. Ziel der beiden ersten Trainingsschritte ist die neuromuskuläre Anpassung im Sinne von Erlernen, Steuern und Anpassen von Bewegungen.

Dabei ist der erste Schritt durch eine niedrige Intensität gekennzeichnet. Verbessert werden die intermuskuläre Koordination, die aktive Gelenksstabilisation und die Propriozeption. Durch Bahnung und Einübung von teilweise neuen Bewegungsmustern wird ein stabiler muskulärer Automatismus erreicht.
Im zweiten Schritt wird die lokale Muskelkraftausdauer verbessert und damit die Belastbarkeit der Muskulatur gesteigert. Es ist entscheidend, die maximale Wiederholungszahl so zu wählen, dass eine vollständige lokale Ermüdung eintritt (20 - 30 Wiederholungen).
Im dritten Schritt wird die Belastung so gewählt, dass die Muskulatur hypertrophiert und die Maximalkraft steigt (Trainingsintensität: 60-80%; 8-12 Wiederholungen).
Der vierte Schritt ist dem Training im Sport vorbehalten: Durch hohe Intensitäten (> 85%) wird die neuromuskuläre Kraftqualität verbessert.

Das Krafttraining kann mit ganz unterschiedlichen Trainingsmitteln durchgeführt werden. Kraftmaschinen erlauben eine geführte Bewegung mit Berücksichtigung der Hebelverhältnisse. Sie trainieren isolierte Muskeln oder Muskelgruppen. Durch ihren definierten Widerstand ist die erbrachte Leistung objektivierbar und exakt reproduzierbar. Training mit einem Zugapparat, Gummizug, dem eigenen Körpergewicht oder mit freien Gewichten ist dagegen koordinativ anspruchsvoller - vorausgesetzt die Bewegungen werden exakt ausgeführt. Ausserdem verändert sich je nach Gelenkstellung der Widerstand (unterschiedliche Hebelverhältnisse), so dass nicht mit einer konstanten Grosse trainiert wird. Dreidimensionale Bewegungsmuster sind möglich.

Beim Training der Rumpfmuskulatur ist darauf zu achten, dass sowohl das lokale wie auch das globale Muskelsystem gezielt trainiert werden. Die Intensität ist für das lokale System gering zu halten, für das globale System im Bereich der Kraftausdauer.

Koordination

Der erste Schritt des neuromuskulären Koordinationstrainings ist das häufige exakte Wiederholen eines Bewegungsmusters. Dabei verbessern sich vor allem die Bewegungswahrnehmung, die propriozeptive Rückmeldung und damit die aktive muskuläre Stabilisation. Es wird eine geringe Belastungsintensität gewählt. Damit nicht ein Gewöhnungseffekt eintritt, sollen die Übungsmethoden und Übungsinhalte ständig variiert und neu kombiniert werden. Die Koordination wird entweder mit dem eigenen Körpergewicht trainiert (anspruchsvolle Gymnastikübungen) oder mit einfachen Hilfsmitteln (instabile Unterlagen, Ball, Zugapparat).

Störfaktoren in der muskulären Rehabilitation

Reizzustände einzelner Bewegungssegmente (aktivierte Spondylarthrose u. a.) behindern die muskuläre Rehabilitation erheblich. Die gelenknahe Muskulatur wird reflektorisch gehemmt. Diese Reflexinhibition macht das Training ineffizient, weil es den Muskelaufbau behindert. Parallel zum Aufbautraining müssen spezifisch diese Hemmmechanismen vermindert werden. Dafür werden analgetische und antiphlogistische physikalische und medikamentöse Therapieformen eingesetzt. Begleiterkrankungen müssen in die spezifische Therapieplanung einbezogen werden, weil dadurch oft Intensität und Umfang der gewählten Therapiemethode limitiert sind.

Zusammenfassung

Beim Rückenschmerzpatienten ist eine muskuläre Rehabilitation notwendig. Ein strukturiertes Therapieprogramm ist erforderlich. Dieses Programm muss individuell abgestimmt werden. Die Grundlagen dafür liefern trainingswissenschaftliche Erkenntnisse. Die Prävention gerade im Nachwuchsbereich hat einen grossen Stellenwert. Obwohl in der muskulären Rehabilitation noch für viele Fragestellungen die wissenschaftlich abgesicherten Antworten fehlen, erlaubt der heutige Wissens- und Erfahrungsstand, wirksame Rehabilitationskonzepte anzubieten.

Bibliographie

Spring H., Dvorak J., Dvorak V., Schneider W., Tritschler T., Villiger B.: Theorie und Praxis der Trainingstherapie, 2. Aufl.

Thieme, Stuttgart 2005 Spring H., Illi U., Kunz HR., Röthlin K., Schneider W., Tritschler T.: Dehn- und Kräftigungsgymnastik, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart 2005