Tabakproduktegesetz (TABPG)

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Über den ideologischen Kampf hinaus

Mit 16 Jahren hatte Claire angefangen zu rauchen, in aller Unbeschwertheit und Frische ihrer Jugend. Sie fühlte sich frei zu tun, was ihr gefiel, sie wollte dazugehören, erwachsen sein. Die Zigarette gab ihr Gelassenheit und die Illusion von Selbstsicherheit. Claire hielt den Schlüssel zur Welt der Erwachsenen in der Hand, sie wurde anerkannt, sie war eingeweiht worden.

Heute lebt Claire nicht mehr ... Sie hat ihren letzten Atemzug getan, nachdem sie so lange in Atemnot gelebt hatte. Nach Jahren des Leidens und der Angst, am Ende eines langen und erstickenden Todeskampfes. Gestorben 10 Jahre zu früh, um Grossmutter genannt werden zu können, gestorben, weil sie mit 16 ihre Freiheit ge- opfert hatte, um ihr Leben lang ein Opfer zu sein, abhängig erst vom Glimmstängel, später vom Sauerstoffschlauch.

Natürlich hat sie etliche Male versucht aufzuhören, schon vor den ersten Krankheitsanzeichen, diesem hartnäckigen Husten, der sie allmorgendlich ergriff, und diesem keuchenden Atem, der ihr das Treppensteigen manchmal unmöglich machte. Aber immer wieder kam das Verlangen zurück, selbst Monate nach einem Versuch, eine Zigaretten mehr anzurühren. Sie glaubte, nur eben eine rauchen und es dann wieder lassen zu können, nur um diese Obsession zu beherrschen und die in ihr Gehirn eingebrannte Zigarette loszuwerden. Die Sucht war stärker als sie, das Nikotin hatte ihre Gedanken fest im Griff. Und all die anderen Verbrennungsprodukte hatten ihre Lungen zerstört.

Diese Geschichte könnte ich von so vielen erzählen, immer wieder. Männer, Frauen, wir waren alle einmal Jugendliche, voller Leben und Zukunft, frei in unseren Entscheidungen. Das glaubten wir zumindest. Wir waren uns der Versuchungen und subtilen kommerziellen Beeinflussungen, die etwa die Tabakwerbung in unseren jungen, formbaren Köpfen säte, nicht bewusst. Und wenn die Saat aufging, konnte ein Zigarettenfabrikant ein lebenslanges Raucherdasein unterhalten. Rauchen macht frei, so sagte er. Claire hat es geglaubt, und daran ist sie gestorben.

Haben wir in unserer aktuellen Debatte über das TabPG den Menschen aus den Augen verloren? Welchen Stellenwert messen wir all den Claires im Vergleich zur Wirtschaftsfreiheit bei? Können wir von unseren Nationalräten eine andere Wertehierarchie erwarten als von unseren Ständeräten, die dem Sirenengesang des Handels nicht widerstehen konnten?

Sehr geehrte Damen und Herren Nationalräte, treten Sie ein auf dieses TabPG, seien Sie kühn und fortschrittlich, hören Sie auf die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung! Andern Sie die Artikel 14, 15 und 16 des aktuellen Entwurfes und ersetzen Sie sie durch einen einzigen Artikel 14, der ebenso simpel wie durchschlagend ist: «Werbung, Promotion und Sponsoring von Tabakprodukten sind verboten.»

Jede andere halbherzige Massnahme hätte keinerlei Wirkung auf den Zigarettenkonsum und somit auf die Gesundheit der Bevölkerung. Denn Studien zeigen, dass sich die Werbeinvestitionen sodann auf die vom Verbot ausgenommenen Medien verlagern. Daher fordert das WHO-Rahmenübereinkommen, das in zahlreichen Ländern umgesetzt wird, ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte.

Claire könnte so vielleicht besser Ruhe finden. Ihre Enkeltochter würde nicht mehr mit heimtückischer und verlogener Zigarettenwerbung überschüttet. Ein Hauch von Hoffnung ...

Frangois Heritier